Die Dorfgründung
Am Rande einer langen
Auseinandersetzung zwischen Kaiser und Papst betritt Heiligenrode schließlich
die Bühne der Welt. So findet sich die erste Erwähnung in einer kaiserlichen
Urkunde aus dem Jahr 1123, verfasst in lateinischer Sprache. Kaiser Heinrich V. überließ dem Kloster Kaufungen, auf Bitten der Äbtissin Gisela und im Namen seines Vaters Heinrich des IV., die vormals
gewaltsam entrissenen Orte Helingenrodh
und das nahe Umbach. Anhand der Dauer
des Konfliktes zwischen Kaiser und Kirche kann abgeleitet werden, dass es das Dorf
Helingenrodh schon vor 1123 gegeben haben muss und unter Gozmar I. von
Ziegenhain in den Besitz des Kaisers gewechselt sein könnte.
Doch das Durcheinander nimmt kein Ende. Das nächste Dokument, einige Jahre später, berichtet von Helegenrod. Um 1257 kannte man den Ort zwischenzeitlich sogar unter dem Namen Heiligenrode. 1366 taucht der Ort als Heylgenrode und Helgenrade auf, wenig später änderte sich die Schreibweise abermals. Die unterschiedlichen Formulierungen schon nach so kurzer Zeit entstanden dadurch, dass die damaligen Schreiberlinge es so aufschrieben, wie sie es hörten. Aufgrund unterschiedlicher Akzente und Dialekte kam es daher zu vielfältigen Veränderungen im Ortsnamen.
Der Name leitet sich vermutlich vom Personen-namen Heligo oder Heling ab, der im Nordgermanischen vorkommt und dem die heutige Namensform von Helge und Helga entstammen. Dieser erste Ansiedler, dem die Klosterleitung Kaufungen den Auftrag zur Rodung im südwestlichen Kaufunger Wald gab, war womöglich der Namensstifter des Ortes. Früher waren nahezu alle unbesiedelten Landstriche mit Wald bedeckt und mussten für Haus und Feld bereinigt (gerodet) werden. Daher auch der zweite Namensteil – rode. Im Pfluggeldregister von 1478 wird „die Heilgen Hube“ besonders hervorgehoben, die der Grebe Junemann hat. Daher kann vermutet werden, dass es sich hier um den Besitz des Dorfgründers handeln könnte, der auch Jahrhunderte später noch in Ehren gehalten wurde.
Die Urkunde Heiligenrodes und Umbachs, verfasst in lateinischer Sprache am 8. Mai 1123. Rechts die Urkunde, links eine Vergrößerung der beiden genannten Orte Helingenrodh und Umbach. @Landesarchiv Marburg
Im Namen der heiligen und unteilbaren Dreieinigkeit, Heinrich, von Gottes Gnaden der IV., erlauchter römischer Kaiser, durch göttliche und unserem Heil dienende Beweise der heiligen Schriften werden wir ermahnt und unterwiesen, die Gott geweihten Kirchen mit reichlichem Wohlwollen zu beschenken und nicht aufzuhören, sie mit frommer Demut zu verherrlichen und, wenn sie zerstört wurden, sie auf Grund unserer kaiserlichen Autorität wiederherzustellen. Wir wünschen, dass allen gegenwärtigen und zukünftigen Christen bekannt sei, wie wir zum Heile unserer Seele und unserer Eltern seligen Angedenkens die Güter, die der Kaufunger Kirche im Kaufunger Wald gewaltsam entrissen waren, auf die würdige und erhabene Bitte der Äbtissin Gisela dieser Kirche zurückgegeben haben.
Namentlich aber geben wir zwei Dörfer, Helingenrodh und Umbach, in demselben Forst gelegen, mit allen Rechten, freien Plätzen, Gebäuden, bebauten und unbebauten Ländereien, Wiesen, Weiden, fließenden und stehenden Gewässern, Fischereien, Mühlen, Wäldern, Jagden, Wegen und unwegsamen Stellen, Eingängen und Ausgängen, Einkünften und Außenständen und allem Nutzen, den man jetzt oder später daraus ziehen kann, den dort Gott dienenden Schwestern zur gemeinsamen Nutznießung, übertragen es ihnen und bestätigen es.
Dies haben wir vernunftgemäß getan auf die ebenso gerechtfertigten Bitten wie das treffende Urteil der Fürsten hin, die als Zeugen zugegeben waren. Sie heißen
Erzbischof Adelbert von Mainz, Erzbischof Friedrich von Köln, Bischof Bruno von Speyer, Stephan von Metten, Bertholf Hildemensis, Heinrich von Paderborn, Gebhard Herbipolensis, Ödalrich Eistatensis, Heinrich, Anführer der Bayern, der Befehlshaber Friedrich und sein Bruder Conrad, Graf Friedrich vom kaiserlichen Palast, Graf Ludwig und sein Bruder Heinrich, Adelbert, der Anwalt dieser Kirche, Gosmarus und sein Bruder, Duto, der Archidiakon der Mainzer Kirche, Richard, der Vorsänger der Fritzlarer Kirche, Graf Berthold, Conrad, der Speisenbringer Folkmar, Marschall Heinrich.
Damit aber das Sonderrecht dieser Schenkung feststehend und unverrückbar bleibe, haben wir befohlen, diese mit eigener Hand bekräftigte Urkunde zu schreiben und mit unserem Siegel zu siegeln.
Siegel Heinrich IV., des unbesieglichsten römischen Kaisers.
Ich, der Kanzler Philipp, habe sie durchgesehen an Stelle des Erzkanzlers Adelbert von Mainz.
Gegeben bei Neuhausen im Jahre 1123 der Fleischwerdung des Herren, am 8. Mai.
Die Kirche
Wann die erste kleine Kapelle oder Kirche in Heiligenrode gebaut wurde, ist unklar, sicher ist aber, dass es vor der heute hier existierenden Kirche aus dem 18. Jahrhundert schon ein Gotteshaus gab. Darauf weisen die alten Reste einer gotischen Wehrmauer um den Kirchplatz herum hin, an deren Außenseite die ältesten Häuser des Ortes stehen. Dieser Schutz war um 1384 errichtet worden, als es verschiedentlich Kämpfe im Raum Kassel zwischen dem Landgrafen und seinem Erzfeind dem Mainzer Erzbischof gab. Das gotische Spitzbogenportal, das ursprünglich in die Südwestecke der Umfassungsmauer gehörte, wurde 1933 vor das Westportal der Kirche in die dortigen alten Mauerreste versetzt. Der Kirchplatz diente als Versammlungs- und Gerichtsstätte, aber auch als Zufluchtsort bei äußerer Gefahr, wie z. B. bei feindlicher Belagerung oder brandschatzenden Truppen auf der Durchreise. An den Innenseiten der Mauern waren sogenannte Erdgaden (Erdhöhlen) eingelassen, welche Platz für Mensch, Tier, Gerätschaften und Nahrungsvorräte boten. Die Jahreszahl 1768 auf der Wetterfahne des Kirchengebäudes weist höchstwahrscheinlich auf die Fertigstellung der heutigen Kirche hin. Der spätbarocke Bau ist aus Bruchsteinmauerwerk errichtet, Giebel und Turm in Fachwerk. Die hohen flachbogigen Fensteröffnungen sind mit fein gearbeitetem Sandstein eingefasst. Die alte mechanische Steuerungsanlage der Kirchturmsuhr ist noch im Turm vorhanden, wurde in den 1980er Jahren jedoch durch eine moderne Anlage ersetzt.
Die Heiligenröder Kirche um 1945, die Kriegsschäden am Gebäude sind noch deutlich zu erkennen. Am neu gesetzten Torbogen existiert noch ein Eingangsgatter aus Eisen. Vor der Umsetzung 1933 lag das Portal noch am rechten Bildrand.
@Gemeinde Niestetal
Spannend wurde es nochmal im Herbst
1959, als ein neues Heizungssystem im Gebäude installiert wurde. Dabei wurden
bei Unterkellerungsarbeiten alte Fundamente entdeckt, die darauf hindeuten,
dass es früher eine kleinere Kirche am selben Ort gegeben haben muss. Auch fand
man Gebeine zwischen unterschiedlich alten Fundamenten, die darauf schließen
lassen, dass man früher seine Toten direkt neben der Kirche im Schutze ihrer
Mauern bestattete. So wurden damals auch die Gräber des Pfarrers Alsfeld [1] († 1767) und des jungen Prinzen
Ludwig Carl von Ysenburg [4] (†
1758) gefunden. Ihre barocken Grabsteine stehen heute auf der Südseite des
Kirchhofs. Ysenburg war der Sohn des Grafen von Isenburg-Birstein und fiel in
der Schlacht am Sandershäuser Berg.
Links die älteste Kirchenglocke aus der Frühgotik (14. Jahrhundert) ist noch als drittgrößte Glocke im Einsatz. Die Inschrift O REX GLORIE VENI CUM PACE bedeutet "Oh ehrender König, komme in Frieden".
Rechts der Grundriss der aktuellen Kirche (außen) und des kleineren Vorgängerbaus mit den fünf gefundenen Gräbern (innen).
@ Gemeinde Niestetal
Latein
NUXERIO (?) ….HOC (?) CONDITA OSSA ILLUSTRISSIMI COMITIS LUDOVICUS CAROLI ALBRECHTS IN ISENBURG ET BODINGEN RHOLTIM
DENATUS EX...EREIN (?) CONFLICTU IN MONTE PROPE PAGUM SAMDERSHAUSIANUM ...IPTO (?) X AUGUSTI MDCLIIX ET DUM MEMORIAM EIUS OMNES MEMORIA IMMORTALITATIS PORSEQUTUR QUI EXIMIAS ANIMI DOTES COGNOVERUNT AETERNITATI ANIMAM ET TUMULO HUIC CORPUS USQUE AD RESURRECTIONEM RELINQUUNT OMNIA SUB LEGES MORS VOCAT ATRA SUAS
Deutsch
Bestattet sind die Gebeine des hochberühmten Grafen Ludwig Carl Albrecht zu Isenburg und Büdingen, gestorben aufgrund des Kampfes auf dem Berg nahe beim Gau Sandershausen am 23. August 1758, und während alle der Erinnerung an ihn im Gedenken an die Unsterblichkeit nachhängen, die seine hervorragenden Geistesgaben kennengelernt haben, überlassen sie seine Seele der Ewigkeit und diesem Grab seinen Leib bis zur Auferstehung. Der schreckliche Tod ruft alles unter seine Gesetze.
Nach dem Einbau der Heizung 1959 erfolgten noch viele weitere Verschönerungen und Renovierungen. So wurde nach der Erneuerung des Glockenstuhls im August 1963 eine neue, die vierte, Glocke feierlich geweiht und 1984 wurde eine grund-legende Innenrenovierung vorgenommen. 1986 folgte die neue Steuerungsanlage für die Glocken und die Kirchturmuhr. 1991 wurden die von Heide und Jürgen Müller neu gestalteten Fenster im Altarraum eingesetzt. Zwischen 1996 und 2013 wurden durch die Künstlerin Karin Bohrmann-Roth aus Grebenstein im Altarraum ein neuer Taufstein, ein neues Altarensemble, bestehend aus Kerzenständern, Altarkreuz und Buchauflage für die Altarbibel und das Lesepult neugestaltet. Inzwischen wurden 2016/17 sowohl der Turm als auch das Kircheninnere erneut aufwändig renoviert, sodass die Kirche wieder in ihrer schlichten Helligkeit einen einladenden Eindruck macht.
Die Häuser des südlichen Kirchhofs standen in der Straße Brackenweg (Opferhof). Die Bezeichnung „In den Bracken“ hat sich bis heute gehalten. Die bei Jagden eingesetzten Bracken-Laufhunde scheiden wahrscheinlich als Namensgeber aus. Vielmehr könnte der Begriff vom Wort Brack (feuchte Gegend) oder Baracken hergeleitet werden. Mit „Baracken“ könnten die alten Erdgaden gemeint sein, die später womöglich als Schuppen genutzt wurden. Im Laufe der Jahrhunderte verschwanden viele historische Fachwerkhäuser in Heiligenrode, so auch 2005, als das Wohnhaus der Zubers im Opferhof 7 vollständig ausbrannte. Die Familie überließ das Grundstück der Kirchengemeinde, die 2009 den Bibelgarten gestaltete. In dessen Mitte wurde ein Apfelbaum gepflanzt, ein Symbol für den Neuanfang. Jegliche hier gesetzten Pflanzen, kommen auch in der Bibel vor.
Das Kirchenschiff vor der Renovierung (etwa 1947) und während der Renovierung, die 1959 abgeschlossen wurde.
@Gemeinde Niestetal
N' Anekdötchen
Früher war ein so genannter Uhrenaufzieher von Nöten, der alle vier Tage auf den Turm hinaufstieg, um das Uhrwerk aufzuziehen. Ältester überlieferte Pfarrer war Herrmann von Heiligenrode, er lebte 1387. In dieser Zeit kam es in Mode einen Nachnamen zu führen – z.B. den eigenen Wohnort.
Herr Kunz Diebach aus
Heiligenrode musste 1536 ins Gefängnis, weil er auf offener Straße jemanden
niederschlug. Daraufhin schwor er bei seiner Freilassung Urfehde (den Verzicht
auf Rache) und quittierte das mit der Unterschrift des Pfarrers Faber. Bei
Nichteinhaltung würde er sich zur Zahlung einer hohen Geldsumme verpflichten –
heute entspräche der Betrag etwa 250 Euro (20 Taler).
Bei der Turm-Renovierung Ende der 80er Jahre, wurde auch die Wetterfahne erneuert und die Kugel restauriert. Dabei zeigte sich ein Schaden, der erst nach dem 2. Weltkrieg hinzugekommen war. Ein Anwohner hatte seine Zielgenauigkeit beim Schießen unter Beweis gestellt und verpasste der Kugel ein Einschussloch.